Annäherung

Die Eröffnung des Rundkinos fiel in eine Zeit, in der der Kinobesuch einen anderen Stellenwert hatte als heute. Großzügigkeit und Imposanz der Kinogebäude, Säle und Leinwände sollten den Zuschauer in die magische Welt des bewegten Bildes hineinziehen. Das Filmangebot war nicht beliebig und der Besuch eines Filmtheaters etwas besonderes, ein abendfüllendes Ereignis. In den 60er und 70er Jahren jagte, in Ost und West gleichermaßen, eine kinotechnische Innovationen der Superlative die andere, 70mm Großformat-Filme ("Super-Panavision 70", "Ultra-Panavision 70", "Cinerama", "Cinemiracle", "Cinemscope", "Sovscope 70", "DEFA 70" wären besipielsweise als Schlagworte zu nennen), 3D-Produktionen und 6-Kanal-Magnetton begeisterten die Zuschauer. Das Rundkino reihte sich direkt in diese Innovationskette ein und bot somit als erste Abspielstätte in Dresden deren vielfältige Möglichkeiten an. Aber besonders auch architektonisch demonstrierte man mit dem Gebäude neues Selbstbewusstsein und so bildete das Haus in der großzügig gestalteten, seinerzeit internationalen Anspruch erhebenden Prager Straße einen wichtigen Baustein. Vor diesem Hintergrund ist der eigenwillige architektonische Entwurf des Hauses zu verstehen, der mit seinen ausladenden Foyers und seiner Großzügigkeit so gar nicht in den Rahmen passt, den man durch die Multiplexkinos heutzutage gewöhnt zu sein scheint.


Räumlichkeiten


Das untere Foyer

Der Besucher betritt das Gebäude über die sich zum Wöhrl-Plaza-Komplex öffnende Kassenhalle. An diese schließt sich das untere Foyer an. Bis zu dem großen Umbau 1991/92 gab es hier im wesentlichen eine großzügige Garderobe: sie nahm den gesamten Platz des Erdgeschosses ein, entsprechend dem Konzept, dass dieses Kino kein ordinäres Kino, sondern ein Theater für Filmkunst sein sollte. Es war eine Wandelhalle, mit einer Garderobe, die für anderthalb Vorstellungen konzipiert war. Die Säulen des Foyers sind mit Edelstahl ummantelt, die Wände mit hellem bulgarischem Sandstein verkleidet. Auch damals war der Tribut an die Sandsteinstadt Dresden üblich, zumindest in diesem ersten Filmtheater des Bezirkes und des zweiten (nach dem Kosmos Kino in der Berliner Stalinallee) der Republik. Im Erdgeschoß befanden sich zudem ein kleines „Reprisentheater“ und die Kassenhalle nebst Kassen, in deren Planung übrigens die Kassiererinnen einbezogen wurden. Da es heute nicht mehr üblich ist, seine Garderobe im Kino abzugeben, wurde diese im Jahre zunächst 1991 entfernt und bei einem weiteren Umbau 1998 wurden große Flächen einer gastronomischen Nutzung zugewiesen.


Die Treppe, die den Besucher vom unteren in das obere Foyer und in den Kinosaal führt. (Foto: M.Hahndorf)

Der große Saal

Das Obergeschoß erreicht man über einen breite, frei schwingende, gerade geführte Treppe und gelangt durch das Foyer in das Glanzstück: den großen Saal mit trapezförmigem Grundriß, einer (ehemals) fast expressionistisch anmutenden stark gegliederte Faltung an der Rückwand und einer ausgefuchsten Deckenlösung mit Akustik-, Belüftungs- und Beleuchtungselementen. Es ist ein Sternenhimmel mit 638 Lampen in Holzelementen (früher mit je einer 100 Watt Glühlampe bestückt, heutzutage begnügt man sich mit 40 Watt), die zusammen mit in ihnen versteckten Lautsprechern eine beeindruckende Akustik schaffen und eine faszinierende, auch hier fast expressionistische Raumwirkung, entfernt an die Zapfen Poelzigs erinnernd. Der Saal hatte früher 1018, jetzt 898 Sitzplätze, ursprünglich mit Stahlrohren und rotem Bezug. Die gebogene Leinwand hat eine Größe von 9,2 mal 21 Meter. Gezeigt werden konnten sowohl 35mm als auch 70mm Filme mit den legendären Pyrcon UP 700 Projektoren.


Blick auf die gewölbte Leinwand des großen Saales (Foto: M.Hahndorf)

Dieser Saal beeindruckt in seiner Großzügigkeit, in der Festlichkeit und Theatralik von Formen, Dimension und Beleuchtung. Vielleicht ist die heutige Wandbespannung vom letzten Umbau 1998, die mit der Bestuhlung einen warmen roten Farbton gemeinsam hat, noch gelungener als die ursprüngliche aus akustischen Gründen verwendete ockerfarbene perforierte Folie, die ein wenig an den Himmel von Autodächern erinnert. Verlassen wird der Saal auf einem separaten Weg durch zwei sechs Meter breite Türen, die sich durch ein leises Surren der Motoren für die Vorhänge verraten. Über vier geschwungene, schmalere Treppen erreicht man die Rückseite der Garderobe und separate Ausgänge – eine Pointe, auf die die Architekten besonders stolz waren: Vermeidet man doch so ein größeres Garderobengedrängel.


Der Sternenhimmel im großen Saal, bestehend aus 638 holzverkleideten Lampen (Foto: M.Hahndorf)

Das obere Foyer

Das Foyer im Obergeschoß war ebenfalls repräsentativ, atmete wirklich Theatersphäre, mit schwarzen Ledersesseln und wechselnden Ausstellungen. Die vorgeschriebenen ein Prozent (wovon eigentlich?) „realistische“ Kunst, die im Bau untergebracht werden mussten, sollten sich auf einer Porzellanwand im Foyer vor dem Saal finden (ähnlich der Wand am Finanzministerium in der Berliner Wilhelmstraße). Das verhinderten sicherlich die Baukosten. Allein der kleine, unter den Saal gequetschte Imbißraum mit Selbstbedienung und „Süßgetränken“, Kaffee und „Dauerbackwaren“, die Wände beklebt mit Filmplakaten, dämpft diese Ansprüche der ernsten Unterhaltung ein Stück weit zur Kinoatmosphäre. Schließlich ergänzen Büroräume das knappe Raumprogramm.


Blick in den Großen Saal von der Leinwand aus (Foto: M. Liebert)


Fassade

Das Äußere erinnert in Material und Architektur an die Ufo-Ästhetik der 60er: es setzt futuristische Akzente. Die Auflösung des Erdgeschosses in eine rundumlaufende Glasfassade mit Stützen aus poliertem schwarzem Naturstein, die optisch verschwinden, sollte explizit einen schwebenden Eindruck hervorrufen. Auf die Fassade des vorkragenden Obergeschosses zaubern ornamentale Stahlrahmen einen raffinierten optischen Effekt. Der zurücktretende, den Saal beherbergende Hauptzylinder wird von vertikalen, weiß emaillierten Aluminiumlamellen betont, die auf eine faszinierende nächtliche Ästhetik zielen: Über dem Boden das lichtgefüllte Erdgeschoß, und über seiner Lichtwolke schweben das ebenfalls erleuchtete Obergeschoß, aus ihm hervorsteigend der strahlenförmig erleuchtete 20 Meter hohe Zylinder - ein Ufo in der wieder aufgebauten Prager Straße, sich spiegelnd im Wasser des Brunnens vor seinen Einstiegsluken.


Außenansicht des Gebäudes - die Gliederung in verglasten Foyerbereich, mit Ornamenten vergitterten Funktionsbereich und den den Saal beinhaltenden Zylinder ist gut zu erkennen (Foto: AG Stadtdoku)

Konstruktion

Die Bauweise, für die wegen des 50 Meter im Durchmesser messenden Grundrisses und des Imperativs der industriellen Bauweise eine innovative Lösung gefunden werden mußte, entstammt dem Chemiebau. Der Zylinder wurde aus Ortbeton in Gleitbauweise errichtet. Während der Bauphase sorgte das wohl für Irritationen in der Bevölkerung, versprach doch dieser Betonbunker alles andere als ein repräsentatives Filmtheater in der neu erglänzten Prager Straße, die so ganz anders war als die vorherige. Die Decken stoßen stumpf an den Zylinder, nur die Balkenauflager wurden mit betoniert.


Ein Gewirr aus Streben, Laufstegen und Kabeln - die begehbare Deckenkonstruktion des großen Saales (Foto: AG Stadtdoku)

Spektakulär und wohl auch mit einigen Herausforderungen verbunden war auch die Dachlösung, bei der es eine Spannweite von 40 Metern stützenlos zu überwinden galt. Das Dach sollte natürlich keine Kuppel erhalten, dieses Sinnbild kirchlicher Macht. Die Bauakademie Berlin entwickelte eigens für dieses Bauvorhaben eine Seilnetzhängekonstruktion mit Druck- und Zugring. In 96 radial gespannte Stahlseile sind Betonfertigteile eingehängt, die mit Ortbeton verfugt wurden. Pionierarbeit war diese Lösung mit Zylinder und Seilnetzdecke auch insofern, als es der dritte zylinderförmige Bau der DDR überhaupt war, und der erste für einen Gesellschaftsbau. Während der Montage der ersten Seile wurde die Baustelle evakuiert. Das Dach hält noch heute offensichtlich ohne Mängel. Neu waren die Dimensionen der Nutzlasten, und neu waren auch die statischen Probleme des Einbaus des trapezförmigen Saales in eine kreisförmige Statik. Ein Blick in die Zwischendecke, begehbar und dicht unter dem Beton-Seilnetz-Dach entführt in surrealistische Welten – ein Gewirr aus Hängekonstruktion, Kabeln und Schalldämmung, und am Horizont schimmert warm das Rot des Vorhanges hervor wie die untergehende Sonne.

Heike Delitz, Dr. Joachim Fischer, Dr. Jan Winkler

Eine Auflistung der Fakten, zusammengestellt vom ausführenden Architekten, Herrn Landgraf, zum Gebäude finden Sie hier.

Einen Blick auf die Baupläne des Gebäudes können Sie hier werfen: